Ungefähr jedes zweite Wochenende breche ich zum gemütlichen Sonntags-Brunch bei mir um die Ecke am Rhein auf – und es ist immer ein bisschen wie drei, vier Stunden Kurz-Urlaub. Im Sommer kann man draussen sitzen und die schöne Umgebung am Fusse des Schwarzwalds geniessen, im Winter erfreut die angenehme Atmosphäre in der warmen Stube. Im Mittelpunkt steht das gemütliche Beisammensein mit Familie, Freunden & Kollegen. Man verbindet sozusagen das Angenehme mit dem Angenehmen – und hält Kontakt mit dem Freundes- & Kollegen-Kreis, wo doch ein intensiverer Austausch im Alltag nur allzu oft auf der Strecke bleibt.
„Freunde“, meinte George Bernard Shaw, „sind Gottes Entschuldigung für Verwandte.“
Meistens ist auch mein Vater mit von der Partie – schwer demenz-krank, aber noch gut zu Fuss. Er geniesst es, ganz einfach mit am Tisch zu sitzen, gut zu essen & zu trinken, ein bisschen zuzuhören & sich zugehörig zu fühlen, auch wenn er selber nichts mehr zur Unterhaltung beitragen kann und zunehmend Hilfe braucht beim Essen.
Wie sagte Oscar Wilde so schön: „Nach einem guten Essen kann man jedem vergeben, sogar seinen eigenen Verwandten.“ Und nach einem sehr guten Essen erinnert man sich vielleicht nicht einmal mehr an ihre Vergehen …
Ende letzten Jahres hatten sich wieder einmal unsere Kollegen Niki & Godi angekündigt – bis kurz vor der Abfahrt das Telefon klingelte. Niki kündigte eine leichte Verspätung an … und by the way, sagte sie, gestern ist meine Mutter gestorben … Mein aufrichtiges Beileid, meinte ich – vergiss den Brunch, du hast jetzt Wichtigeres zu tun, wir verschieben das auf ein andermal. Bloss nicht, meinte Niki – ich brauch‘ ein bisschen Ablenkung, ein bisschen Plaudern & Futtern, wartet auf uns, wir fahren gleich los …
Im Englischen gibt es diesen schönen Ausdruck „to forget about life for a while …“ – ein bisschen Abstand nehmen vom Leben sozusagen. Eine kleine Auszeit vom Alltag, ein kurzes Eintauchen in eine weiche, entspannte Butter-Croissant-Rührei-Fruchtsaft-Welt mit herrlichem Cappuccino-Duft. Wie heisst es so schön im Film „Thomas Crown Affair“: „Darf ich Ihnen eine ernsthafte Frage stellen? Möchten Sie einen weiteren Espresso?“