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GmbA – Gesellschaft mit betreutem Ableben

Als Karl Lagerfeld 18 Jahre alt wurde, gratulierte ihm seine Mutter telefonisch: „Jetzt bist du erwachsen und alt. Und ab 24 geht's bergab." Die energische Frau, damals bereits im Renten-Alter, hatte stets einen trockenen Spruch auf den Lippen. Sie hatte aufgehört, Karten zu spielen, weil sie ihre alten Hände nicht mehr sehen wollte.

In der Schweiz werden Männer durchschnittlich 79 Jahre und Frauen 84 Jahre alt. Wir werden nicht plötzlich doppelt oder x-mal so alt. Wir wissen das, aber wir sind erfolgreiche Verdränger. Wir richten uns in unseren Wohnungen & Häusern & Gärten & Fernseh-Sesseln ein, als würden wir Jahrhunderte lang leben. Ein komisches Paradox, das ich nie ganz verstanden habe. Und plötzlich – schwupps – sind wir alt. Wir hören zwar ständig, dass Menschen heutzutage viel länger fit & aktiv bleiben, und für manche stimmt das auch. Aber für andere eben nicht, nicht im Jahre 2012 und auch nicht in absehbarer Zukunft.

Für viele Menschen ist das Alter eine Bürde, ein „Massaker" (Philip Roth) oder eben der berühmte „Crash in Zeitlupe" (Katharine Hepburn). Wir haben diese Seite der Medaille weitgehend ausgelagert aus unserer Gesellschaft, delegiert an Alters- & Pflegeheime und Betreuer/innen aller Art. Wir leben in einer „GmbA", wie ich gerne sage, in einer „Gesellschaft mit betreutem Ableben".

Das hier ist meine eigene Geschichte bzw. die Geschichte meines Vaters, alleinstehender Witwer seit fast 20 Jahren. Er leidet an Demenz und hat die letzte Zeit im Pflegeheim verbracht. In einem vergleichsweise schönen Pflegeheim – ein ausgesprochener Glücksfall. Aber er wollte es unbedingt noch einmal zu Hause versuchen, in seiner frisch renovierten Wohnung. Verständlich – aber alles andere als einfach. Ein demenz-kranker Mensch allein zu Hause, der Hilfe für praktisch alles benötigt: Hilfe für die Körper-Pflege, für alle Mahlzeiten & bereits für einen simplen Kaffee aus der Kaffee-Maschine, Hilfe zum Fernsehen, für Hausarbeiten & Einkäufe, Spaziergänge & kleinere Unternehmungen und natürlich für alles Organisatorische & Administrative. Vor einer Woche ist er nun nach Hause zurückgekehrt. In der (gemeinsamen) Hoffnung auf einen möglichst würdigen Lebensabend ...

Dieser Beitrag handelt von den Erfahrungen & Erkenntnissen rund um die Heimkehr & Betreuung meines Vaters Freddy. Er handelt davon, dass das Alt-Sein früher oder später die ganze Energie & Aufmerksamkeit beansprucht, die man hat. Oder wie Walter Giller so schön sagte: „Jede Kleinigkeit wird eine Grossigkeit."

„Ich bin in meinem Leben drei wahren Grossmächten begegnet", schrieb Sándor Márai in den 70er Jahren in sein Tagebuch, „den Russen, den Amerikanern – und dem Alter. Ich beobachte, dass von den dreien die letzte am grausamsten ist ..." Ganz ähnlich sieht das Henning Mankell, der seinen „Kommissar Wallander" nicht nur mit Depressionen und Krebs, sondern am Ende auch noch mit Demenz ausgestattet hat: „Eigentlich ist das Leben eine Tragödie. Man kämpft ja immer. Um Wissen zu bekommen, um glücklich zu werden – um irgend etwas. Und am Ende verliert man dann alles ..."

Jahre vor der Demenz ereilte meinen Vater eine andere Krankheit, die seit ein paar Jahren in diversen Fernseh-Shows reisserisch & voyeuristisch ausgeschlachtet wird. Klar, es wird einem eine Menge Arbeit & Ballast abgenommen, wenn man in dieser Angelegenheit nach den TV-Helfern ruft – aber der Preis ist hoch. Der Preis ist die totale Blosstellung.

Mit den Jahren entwickelte sich dann zusätzlich eine immer stärker werdende Demenz – und irgendwann musste gehandelt werden. Sehr oft gehen einschneidende Schritte nicht von den Angehörigen selber aus, weil es ihnen schwer fällt, Familien-Mitglieder bei den Behörden zu „melden". Genauso auch in diesem Fall, wo man schon viel früher hätte eingreifen müssen. Sehr viel früher ...

Es gibt verschiedene Formen von Demenz – die bekannteste & häufigste ist die Alzheimer-Demenz. Bei älteren Menschen findet sich auch häufig eine sogenannte Alters-Demenz.

Eine aufreibende Wohnungs-Räumung (alleine darüber liesse sich ein Buch schreiben!), eine komplette Wohnungs-Renovation (ja, viele Handwerker-Klischees stimmen!) und viele Schwierigkeiten später hatte ich ein schönes Plätzchen in einem Pflegeheim im Grünen gefunden. Was alles andere als selbstverständlich ist. Es gibt in der Schweiz viel zu wenig Pflege-Plätze in angenehmen, wohnlichen Pflegeheimen (teuer sind sie alle, wobei die schlechtesten meist die allerteuersten sind). Einrichtungen, wo Bewohner/innen nicht wie kranke Tiere in einem viel zu engen Käfig mit kaum Auslauf gehalten werden. Wo nur die allernötigste Betreuung verrichtet wird, ansonsten Fernseher an, Psycho-Pharmaka rein, Windeln drunter – und fertig ist der „Park-Service". Natürlich juckt es mich in den Fingern, ein paar konkrete Namen zu nennen. Aber das wären nur wenige (unvollständige) Beispiele aus einer sehr viel längeren Liste, die in diesem Zusammenhang genannt werden müsste.

Warum gibt es eigentlich „Sterne" etc. für Hotels & Restaurants und vieles mehr – aber nicht für Pflegeheime?

Ältere Menschen lassen sich immer früher auf Warte-Listen von Alters- & Pflegeheimen ihrer Wahl setzen. Durch einen glücklichen Zufall fand ich einen Platz in einem vergleichsweise schönen Pflegeheim, das von aussen wie ein ganz normales Einfamilien-Haus aussieht. Was es ursprünglich auch gewesen ist: Ein riesiges Einfamilien-Haus in einem ruhigen Quartier mit schönem Garten & Teich. Und heute eben ein kleines Pflegeheim mit gut zwei Dutzend Betten. Das Einzelzimmer meines Vaters hat(te) Balkon, eine Treppe ins Freie hinunter und allgemein freien Zutritt & Ausgang (auch wenn das natürlich ein gewisses Risiko darstellt bei Demenz-Kranken ...). Angenehmes Personal, einladende Aufenthalts- & Speise-Räume, ein schöner Garten mit Klein-Tieren und toller Aussicht, begleitete Spaziergänge, Beschäftigungs- & Mobilitäts-Therapien sowie weitere Annehmlichkeiten runden das Angebot ab. Tönt fast wie ein Werbe-Slogan, ist aber keiner – das Pflegeheim hat viel mehr Nachfrage als Betten!

Im Film „Rebecca" von Alfred Hitchcock sagt der verwitwete Maxim de Winter zu seiner jungen (zweiten) Frau: „Du musst mir versprechen, niemals Perlen-Ketten zu tragen – und niemals 40 Jahre alt zu werden." Ja, haben wir als Teenager geschrien, wir versprechen es! Den Perlen-Ketten haben wir locker widerstanden – aber das mit dem Alter ist ein schwierigeres Kaliber ...

Pflegeheime bieten ein „pflegerisches Gesamt-Paket" – zu Hause muss jeder kleinste Schritt einzeln organisiert werden. Vom Aufwachen bis zum abendlichen Lichter-Löschen. Man beginnt erst einmal mit den „groben Brocken" (Körper-Pflege, Mahlzeiten, Haushalt) und merkt im Laufe der Vorbereitungen, wie sich das Betreuungs-Gebiet immer weiter ausdehnt ... Hier gilt es noch etwas in die Wege zu leiten, da noch etwas zu berücksichtigen und dort tun sich plötzlich grosse organisatorische & administrative Gräben auf ... Und so weiter ...

Beginnen wir mal beim Aufstehen: Alleine zur Toilette schafft es mein Vater noch (wie sie nachher aussieht, ist eine andere Frage). Alleine waschen, duschen, kämmen, rasieren, Zähne putzen, frische Kleider anziehen etc. geht nicht mehr. Dafür braucht er Hilfe, und zwar 2 x täglich. Dafür gibt es in der Schweiz die sogenannte Spitex, deren – ärztlich verordnete – Pflege-Leistungen zu 90% über die Krankenkasse abgerechnet werden können. Egal, ob die Einschränkungen bei der Körper-Pflege geistig und/oder körperlich bedingt sind. Für jeden Tag kann man einzeln festlegen, ob ein „kleiner Service" („Katzen-Wäsche" und nur das Nötigste) oder ein „grosser Service" (Duschen, Haare waschen etc.) durchgeführt werden soll und die gewünschten Leistungen genau definieren. Das ist schon mal ein guter Anfang – auch wenn die Betreuer/innen aus organisatorischen Gründen täglich wechseln können. Nicht optimal gerade bei Demenz-Patienten, aber verständlich angesichts der riesigen Nachfrage, der häufigen Verzögerungen & Notfälle und der entsprechend schwierigen Organisation.

Auf eigene Kosten kann man die Morgen-Spitex eine Viertelstunde länger buchen, damit sie dem Patienten noch kurz ein Frühstück zubereitet. Das heisst einen Kaffee aus der Kaffee-Maschine rauslässt, Brot mit Butter & Konfitüre bestreicht, etwas Käse bereitstellt, vielleicht eine Frucht aufschneidet etc. So das Nötigste halt (gemäss eigenen Wünschen) – und das ist schon mal eine grosse Hilfe für viele.

Möchte man Betreuung & Gesellschaft während des Frühstücks (bzw. für andere Mahlzeiten etc.), muss man sich anderweitig umschauen. Etwa bei der sogenannten Privat-Spitex – ein Überbegriff für diverse privat organisierte Pflege-Firmen auf dem Markt. Sie bieten eine breite Palette an Dienstleistungen im Pflege-Umfeld an, sind allerdings vergleichsweise teuer, da (wie andere Unternehmen auch) gewinn-orientiert. Als Beispiel lässt sich Home Instead nennen. Einzel-Einsätze unter 2 Stunden sind hier allerdings nicht möglich – wenn man etwa Hilfe für 3 Mahlzeiten täglich benötigt, wird das sehr teuer.

Ein Schweizer Anbieter in diesem Umfeld offeriert übrigens das grosse „Rundum-Sorglos-Paket" für 23'700 CHF im Monat. Rundum sorglos ist man damit zwar noch lange nicht, aber immerhin ist rund um die Uhr eine Pflege-Kraft vor Ort und sorgt sich um die dringlichsten Bedürfnisse des Patienten. Das erinnert mich an den berühmten „Inspektor Columbo", dem in einer Folge ein Bestattungs-Unternehmer das „Grosse Erinnerungs-Paket für 54'000 US-Dollar" offeriert. Columbo schluckt kurz und meint dann: „Da gerate ich lieber in Vergessenheit ..." Daraus wurde zwar nichts – aber Columbo-Darsteller Peter Falk litt in den letzten Jahren seines Lebens an Alzheimer-Demenz.

Also selber aktiv werden und private Betreuerinnen suchen! Zum Beispiel persönlich von Tür zu Tür gehen in der Nachbarschaft und nachfragen, ob jemand morgens eine Stunde erübrigen könnte, um einem Demenz-Patienten beim Frühstück zu helfen und ein bisschen Gesellschaft zu leisten. Mein allererster Gedanke – aber in meinem Fall nicht erfolgreich, zumal (zu) viele Menschen in der Umgebung bereits selber alt & hilfsbedürftig sind. Also habe ich Klein-Inserate platziert in Supermärkten und an ähnlichen Orten – und glücklicherweise erfolgten ein paar wenige Rückmeldungen. Besonders attraktiv ist so ein 1-Stunden-Job natürlich nicht, schon gar nicht, wenn man noch eine längere Hin- & Rückfahrt auf sich nehmen muss. Aber nach einigen Bemühungen konnte ich eine Früh-Rentnerin gewinnen, die auf dem Weg zu meinem Vater gleich auch ihren Hund spazieren führt – und mein Vater hat erst noch eine tierische Abwechslung & Aufmunterung im Haus! Und auch fürs Nachtessen konnte ich zwei Damen gewinnen, die abwechselnd für meinen Vater kochen und ihm während des Essens ein bisschen Gesellschaft leisten. Und überdies für ihn einkaufen und die Wäsche erledigen.

Private Betreuer/innen müssen zwingend bei den (Schweizer) Sozial-Versicherungen angemeldet werden – ansonsten handelt es sich um Schwarzarbeit. Ab 1 Stunde Einsatz (!) sind Anmeldungen bei AHV & Unfall-Versicherung erforderlich.

Überdies fallen natürlich private Betreuer/innen auch mal aus aufgrund von Urlaub, Krankheit, Unfall, dringenden Terminen etc. – und hier muss man sich selber um Ersatz kümmern. Auch für die Wochenenden & Feiertage braucht es allfälligen Ersatz. Natürlich verrichten auch die Angehörigen selber meist zahlreiche Einsätze – aber der organisatorische Aufwand für eine lückenlose Betreuung ist nicht zu unterschätzen. Und im Notfall ist & bleibt man selber der wichtigste „Einspringer", auch wenn man nicht gerade um die Ecke wohnt (wie in meinem Fall).

Private Betreuer/innen kommen ev. auch zum Einsatz für Spaziergänge & kleinere Unternehmungen ausser Haus. Gerade Demenz-Patienten sollten nicht nur zu Hause rumsitzen, wenn sie noch gut zu Fuss sind, zumal sie oft einen starken Bewegungs-Drang haben bzw. entwickeln. Hier sollte man am Nachmittag – oder wenigstens jeden zweiten Nachmittag – für ein bisschen Frischluft & Abwechslung sorgen. Wichtig sind Unternehmungen, die dem Patienten Freude bereiten und seinen doch stark eingeschränkten Alltag etwas auflockern & verschönern. Vielleicht möchte er gerne Orte und/oder Menschen aufsuchen, die er früher häufig frequentiert hat. Denn gewisse Erinnerungen aus der Vergangenheit sind auch bei Demenz durchaus noch vorhanden ...  

Bei diesem Stichwort kommen ungute Erinnerungen an Harald Juhnke hoch, der sich von Media Markt für die „Ich bin doch nicht blöd"-Kampagne engagieren liess – und kurz darauf an schwerer Demenz erkrankte ...

Fürs Mittagessen gibt es glücklicherweise vielerorts Mahlzeiten-Dienste (gemeinnütziger) Vereine – in unserem Fall der Mahlzeiten-Dienst des gemeinnützigen Frauen-Vereins. Die Mahlzeiten werden bereits warm angeliefert, so dass auch Menschen diesen Service in Anspruch nehmen können, die selber nicht mehr in der Lage sind, eine Mahlzeit aufzuwärmen bzw. in die Mikrowelle zu stellen.

Für Haushalt-Hilfe für Senioren/innen ist die erste Anlaufstelle (in der Schweiz) die Pro Senectute. Sie bietet eine breite Palette an Dienstleistungen insbesondere für (noch einigermassen) rüstige Rentner/innen an – sowie eine breite Palette an Hilfe-Leistungen im Haushalt. Hier kann man massgeschneiderte Dienstleistungen buchen, sprich man gibt detailliert seine Bedürfnisse & Zeit-Vorstellungen durch (z.B. 2 x wöchentlich 2 Stunden für diese & jene konkreten Arbeiten). Mit einer Zusatz-Versicherung für Haushalt-Hilfe kann man einen Teil der Kosten über die Krankenkasse abrechnen.

Grundsätzlich muss man sich überlegen, wie man mit so vielen Betreuer/innen die Schlüssel-Frage klärt. Insbesondere für einen Demenz-Patienten, der öfter mal den Haus-Schlüssel innen stecken lässt, verlegt oder verliert. Da ist es wichtig, dass alle Beteiligten freien Zugang zur Wohnung bzw. zum Haus haben. Am besten gibt man ihnen allen Schlüssel ab – und lässt das Schloss umrüsten auf eine Version, die sich auch dann von aussen öffnen lässt, wenn innen ein Schlüssel steckt. Oder die innen nur noch einen Knopf hat.

Schliesst sich gleich die nächste Frage an: Kann der Demenz-Patient noch alleine raus? Kann er sich noch selbständig in einem kleinen, vertrauten Umfeld bewegen? Oder führt ihn ein starker Bewegungs-Drang zu weit weg in die völlige Orientierungslosigkeit? Schwierige Fragen, die sich nur individuell beantworten lassen (ich habe sie beispielsweise noch nicht beantwortet ...). Und – im weiteren Krankheits-Verlauf – immer wieder neu zu beurteilen sind ...

Auch ein Notfall-Knopf am Patienten (z.B. am Handgelenk) macht Sinn – wo der Patient im Notfall draufdrücken kann und automatisch ein Anruf beim Hausarzt & den Angehörigen ausgelöst wird. Insbesondere bei Senioren, die kein Handy mehr bedienen können. Diverse Firmen bieten verschiedene Modelle in unterschiedlichen Preislagen an (die Spitex steht hier beratend zur Seite).

Menschen, die im Alltag auf Pflege-Hilfe angewiesen sind, haben (in der Schweiz) Anspruch auf die sogenannte Hilflosen-Entschädigung (verschiedene Stufen & Entschädigungen) – unabhängig von Einkommen & Vermögen. Die Hilflosen-Entschädigung kann bei der zuständigen AHV-Stelle beantragt werden und ist mit entsprechendem administrativem Aufwand verbunden, in welchen u.a. auch der Hausarzt involviert ist. Ohnehin ist der Hausarzt eine wichtige Ansprech-Person nicht nur für den Patienten & seine Angehörigen, sondern auch für Krankenkasse, Spitex, Pro Senectute, verschiedene Versicherungen und andere involvierte Stellen mehr. Ein guter & engagierter Hausarzt ist eine nicht zu unterschätzende Hilfe in solch schwierigen Zeiten & Angelegenheiten. Man hat einfach ständig in irgend einer Form mit ihm (oder ihr) zu tun – daher unbedingt wechseln, wenn es nicht hinhaut ...

Auch mit Banken & Versicherungen können mannigfaltige Probleme auftreten. Oft wird beispielsweise eine Vollmacht (für die Angehörigen) nicht akzeptiert, weil sie vom Patienten zu spät erteilt worden ist, zu einem Zeitpunkt, als dieser bereits an Demenz erkrankt war. In diesem Zusammenhang kann es zu unschönen Diskussionen kommen, weil viele Institute strikt nach „Schema F" arbeiten und es nicht jedem gegeben ist, einen gewissen Ermessens-Spielraum mit gesundem Menschenverstand auszuloten. Es können einem hier erhebliche (zusätzliche) Steine in den Weg gelegt werden – und daher kann ich nur nachdrücklich auf den altbekannten Ratschlag verweisen, frühzeitig vorzusorgen. Frühzeitig Vollmachten zu übertragen und die Angehörigen nicht zusätzlich (bewusst oder unbewusst) mit unnötigen Hürden zu belasten.

Menschen mit Demenz sind natürlich nicht mehr in der Lage, ihre Administration & Alltags-Logistik zu erledigen. Sie brauchen Hilfe für jedes Schriftstück, jeden Brief, jede Rechnung, ihre Finanzen & Steuern und so weiter. Das geht nur mit irgend einer Form von Beistandschaft oder Vormundschaft – hier gibt es verschiedene Formen & Abstufungen, familien-interne & externe Lösungen. Kommt hinzu, dass sich die Gesetzeslage (in der Schweiz) ab Anfang 2013 ändert. Diesbezügliche Beratungen bieten beispielsweise grössere Gemeinden unentgeltlich an. Mit einer sogenannten Beistandschaft übernimmt man nicht nur Verantwortung, sondern auch einen nicht zu unterschätzenden Arbeits-Aufwand.

Für Angehörige von Demenz-Kranken – wie auch für Angehörige vieler anderer Krankheiten – gibt es diverse Beratungs- & Hilfs-Möglichkeiten: Gespräche, Vorträge, Selbsthilfe-Gruppen etc. Das erweist sich für viele Menschen als sehr hilfreich. Bei Demenz & Alzheimer etwa weiss man nämlich nicht genau, wie sich die Krankheit weiter entwickeln wird (abgesehen von einer generellen Verschlechterung). Ein Patient kann genauso gut immer apathischer & verschlossener werden als auch einen verstärkten Bewegungs-Drang und/oder Aggressionen entwickeln. Und öfter mal weglaufen ... Ohnehin können kleinere oder auch grössere Persönlichkeits-Veränderungen auftreten (ein besonders schwieriger & schmerzlicher Punkt für die Angehörigen), und meist kommt mit der Zeit auch noch eine verstärkte Inkontinenz dazu.

Als Angehörige/r muss man auf alles gefasst sein und auch – ganz wichtig – sein eigenes Verhalten anpassen. Anpassen an die veränderten Befindlichkeiten & schwindenden Möglichkeiten seines Gegenübers. Hauptsächlich geschlossene Fragen stellen, also Fragen, die mit „ja" oder „nein" beantwortet werden können. Nicht explizit auf Fehler & Defizite hinweisen – das kommt gar nicht gut an. Keine Vorwürfe machen, wenn der Patient aggressiv & unfair reagiert – er kann meist gar nicht anders. Mit Verständnis & Mitgefühl reagieren, auch wenn man aus der Haut fahren möchte. Aushalten, was man nicht ändern kann ...

Mein Vater meint manchmal, er sei auf dem Weg zu einem Box-Kampf – obschon er nie geboxt hat und nicht viel mehr als Haut & Knochen ist. Oder er möchte irgendwo den Verkehr regeln gehen – an einer belebten Strassen-Kreuzung. Er trägt immer einen grossen Wecker mit sich herum, obschon ihm die Orientierung in Zeit & Raum schwer fällt. Manchmal möchte er etwas sagen, findet aber die Worte nicht mehr. Es ist ein bisschen wie im berühmten Rilke-Gedicht „Der Panther", das wie folgt endet:

„ ... Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
Sich lautlos auf – dann geht ein Bild hinein.
Geht durch der Glieder angespannte Stille.
Und hört im Herzen auf zu sein."

Diese ganze Auflistung ist natürlich nicht vollständig, und es kommen (fast) täglich neue Punkte hinzu, die es auch noch abzuklären, zu organisieren, anzupacken oder auch einmal aufzugeben gilt ... Es ist erst der Anfang eines hoffentlich noch langen Weges, wo man laufend mit neuen Herausforderungen & Schwierigkeiten konfrontiert wird, wo man aber auch laufend dazu lernt ...

Was hilft in solch schwierigen Situationen?

- Schicksal annehmen: Klingt abgedroschen, ist aber so. Es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht kontrollieren – nur aushalten. Solche Schicksals-Schläge passieren. Nicht nur den anderen, den Bekannten von Bekannten, armen Menschen in den Medien. Nein – manchmal passieren sie auch in der eigenen Familie ...

- Batterien aufladen: Ohne ausreichend eigene Energie, Kraft & Zuversicht ist man schlicht & einfach keine grosse Hilfe für andere.  

- Gesunde Abgrenzung: Wichtig – bei allem Einsatz & Engagement, bei allem verständnisvollen & unterstützenden Miteinander ...

- Humor, Humor & nochmals Humor – auch in krassen Situationen. Solange er nicht zynisch & verletzend ist, hat Humor etwas unheimlich Tröstendes & Befreiendes. Darf man lachen, wenn der Demenz-Patient wieder einmal unfreiwillig für Komik sorgt? Natürlich, unbedingt! Sind Spässchen à la Ingo Appelt („Die Renten-Beiträge explodieren – nur die Rentner nicht!") erlaubt? Aber sicher ...

Auch der deutsche Arzt Alois Alzheimer, der Entdecker der später nach ihm benannten Alzheimer-Krankheit, der in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg lebte & wirkte, war ein Scherzbold und liess sich auch in harten Zeiten nicht den Humor nehmen. Gerne verkleidete er sich als Landstreicher oder Bettler und bat an seinem Institut um Almosen. Und freute sich, wenn er von keinem erkannt wurde – Mitarbeiter wohlgemerkt, nicht Demenz-Patienten! Es muss ein fruchtbares Arbeits-Klima gewesen sein rund um Alois Alzheimer, sind doch auch zwei seiner Assistenten in die Medizin-Geschichte eingegangen: Creutzfeldt & Jakob.

- Adieu ewiges Aufschieben: Alles ist vergänglich, jeder schöne Augenblick ist kostbar – es hilft nicht, sein Leben & seine Träume aufzuschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Mein Vater etwa wollte immer mal nach Südafrika, er wollte so vieles im Leben, aber immer später, immer irgendwann, wenn der „richtige Zeitpunkt" gekommen ist – aber der richtige Zeitpunkt ist natürlich nie gekommen. Und so hatte er sich in seinem „Aufschiebe-Leben" eingerichtet, bis es zu spät war ...

- Dankbarkeit: Vieles wird erst dann so richtig wertvoll, wenn man es zu verlieren droht. Carpe diem, wussten schon die alten Römer, nutze den Tag. Man kann nicht oft genug daran erinnern ...

Und nutzen wir auch die Chance, unseren Mitmenschen einen würdevollen Lebensabend zu ermöglichen.



PS: Hegen Sie bei einem Ihrer Angehörigen den Verdacht auf Demenz?

Lassen Sie die Person eine bestimmte Uhrzeit zeichnen, z.B. 20 Minuten vor 9 Uhr. Geht das nicht mehr (Ausreden gelten hier nicht ...), ist eine Abklärung beim Arzt angezeigt. Es kann sich um Demenz bzw. Alzheimer handeln.

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